Wie sehr stören Intermodulationsverzerrungen?

Bachelorarbeit über die auditive Auswirkungen

Text: Gunda Trickl Bilder & Grafiken: Autorin

Block 1

Intermodulationsverzerrungen gehören zu den Störfaktoren, die bei der Optimierung von ­Audiosystemen oft eine schwierige Rolle einnehmen. Der Frage, welche auditiven Auswirkungen sie mit sich bringen, ging ich in meiner Bachelorarbeit nach. Was sie so schwer greifbar macht, beschäftigt mich auch weiterhin.

Wo kommt er her, dieser eine tiefe Ton, der da leise mitschwingt? Entsteht er durch eine Intermodulation im Lautsprecher vor mir oder sogar doch im eigenen Ohr? Eigentlich sind es nur Verzerrungen, aber warum nimmt man sie als so viel unangenehmer wahr, wenn man sie erst bemerkt hat?

Lineare und nichtlineare Verzerrungen

Lautsprecher produzieren lineare und nichtlineare Verzerrungen. Beide beeinflussen das Spektrum des wiedergegebenen Signals. Intermodulationsverzerrungen, kurz IMD (intermodulation distortion), gehören zu den nichtlinearen Verzerrungen. Diese entstehen, sobald die Amplitude eines Signals den Kleinsignalbereich verlässt. Ein System arbeitet dann nicht mehr linear, sondern agiert bei hohen Spannungen anders als bei geringeren. Während lineare Verzerrungen lediglich die Amplitude und Phase beeinflussen, mischen sich bei nichtlinearen Verzerrungen neue Frequenzkomponenten hinzu. Die wohl bekanntesten dieser Art sind harmonische Verzerrungen, bei denen Vielfache der vorhandenen Schwingungen entstehen. Die Summe dieser Vielfachen wird als THD (total harmonic distortion) bezeichnet. Die Harmonischen und ihre Anregungstöne maskieren sich gegenseitig und der Hobby-Hörer denkt sich: „voll fett“, während der Lautsprecherentwickler einen Kreislaufkollaps bekommt. Schlimmer wird es bei den irregulären Verzerrungen, die durch Defekte produziert werden – sei es durch eine lose Schraube oder die dauerhafte Lautsprecher-Fütterung mit übersteuertem Input (resultierend im Zerreißen der Membran). Jetzt denkt sich der Hobby-Hörer: „kaputt“, und der Lautsprecherentwickler sagt: „selbst schuld“.

Intermodulationsverzerrungen und wie sie entstehen

Intermodulationen sind ein wenig kalkulierbarer als irreguläre Verzerrungen. Wie der Name schon sagt, moduliert hier das Audiosystem zwischen mehreren Schwingungen und produziert dabei tonale Produkte. Dies ist relativ gut berechenbar, wenn lediglich die Amplitude einer Frequenz die Schwingung der anderen Frequenz beeinflusst. Man stelle sich hierbei den Antrieb eines Lautsprechers vor: die Spule im Magnetfeld. Bei einem lauten, tiefen Ton schlägt die Spule stark aus, ihre Aufhängung wird dabei gespannt und zieht sie zurück in Richtung der Ruheposition. Die Nachgiebigkeit der Aufhängung verhält sich nicht mehr linear. Soll nun auch noch ein höherfrequenter Ton dargestellt werden, so agiert die Spule anders als sie es in ihrer Ruheposition bei frei beweglicher Aufhängung tun würde. Diese Amplitudenmodulation oder -multiplikation provoziert dann weitere Töne. Mathematisch lassen sich deren Frequenzen mit der Formel leicht berechnen – zumindest, solange man einen Überblick über das anregende Frequenzspektrum (einschließlich der THD) behält. Entstehen die Intermodulationen durch Phasen- oder Frequenzmodulationen, zum Beispiel durch den Dopplereffekt der Membran, ist die Berechnung ihrer Frequenzen zwar nicht mehr ganz so einfach, mithilfe der Bessel-Funktionen aber möglich. Übrigens können auch im Gehörorgan Intermodulationsverzerrungen entstehen, zum Beispiel durch die nicht rein sinusförmige Schwingung der Basilarmembran.

Intermodulationen verursachen nicht nur schlecht maskierbare, höherfrequente Störkomponenten, sondern auch Schwingungen, die teilweise unterhalb ihrer Anreger liegen. Somit werden sie noch schlechter verdeckt. Der Lautsprecherhersteller ist natürlich wenig begeistert, wenn er eine Menge IMD misst. Aber wie empfindet das der Hobby-Hörer?

Block 4

Verlauf einer unverzerrten (oben), linear verzerrten (Mitte) und nichtlinear verzerrten (unten) Sinusschwingung
Verlauf einer unverzerrten (oben), linear verzerrten (Mitte) und nichtlinear verzerrten (unten) Sinusschwingung
Quinte+ und Harmonische (oben) mit hinzugefügten IMD-Komponenten (unten)
Quinte+ und Harmonische (oben) mit hinzugefügten IMD-Komponenten (unten)

Die Frage nach der auditiven Wahrnehmung

In meinen Untersuchungen stellte ich mir die Frage nach der auditiven Wahrnehmung von IMD. Da Amplitudenmodulationen den größeren Anteil an IMD in Lautsprechersystemen bedingen, konzentrierte ich mich in meinen Experimenten ausschließlich auf diese Komponenten.

Block 6

Die Wahrnehmung von IMD hängt stark von der spektralen Verteilung der Signalkomponenten und den einhergehenden Maskierungseffekten ab. Bei komplexen Musiksignalen erschweren diese die Bewertung der Ergebnisse, daher musste ich die Versuche auf einfache Anregungssignale reduzieren. Auch bei Multitonsignalen beeinflusst die Zusammensetzung der Töne maßgeblich deren Wahrnehmung. Schließlich erzeugen zwei sehr nah zusammenliegende Schwingungen Frequenzprodukte, die deutlich weiter entfernt liegen als die Produkte größerer Frequenzabstände. Um die Versuche möglichst nachvollziehbar und reproduzierbar zu gestalten, entschied ich mich, IMD nur mit Zweitonsignalen zu testen. Meine perzeptuellen Untersuchungen waren somit zwar weniger anwendungsnah, ließen sich aber dafür unter Laborbedingungen besser bewerten.

Block 7

Ich hatte einen dreiphasigen, qualitativen Hörversuch vorbereitet, den 30 Probanden mit Hörerfahrung durchliefen. Dieser bestand zunächst aus einem Hörtest, mit dem ich das Gehörvermögen der Teilnehmer prüfte, um dadurch die Ergebnisse besser deuten zu können. Für den zweiten Teil hatte ich in Max/MSP ein Testsignal programmiert, das aus zwei Anregungsfrequenzen und ihren THD bestand. Die Anregungsschwingungen wurden um die Mittenfrequenz 3400 Hz gebildet, da die Ruhehörschwelle des Menschen in diesem Bereich aufgrund der Eigenresonanz des Gehörgangs besonders niedrig ist. Dem Testsignal wurden dann im Takt von 0,6 Hz vorberechnete IMD-Komponenten hinzugeschaltet. Die Amplitude aller Verzerrungen (THD+IMD) ließ sich über einen Regler steuern. Aufgrund der ständigen Normalisierung änderte sich die Gesamtlautstärke des Signals dabei nicht. Mithilfe dieses Programms konnte ich die Hörschwellen der reinen IMD-Produkte für verschiedene Zweitonintervalle feststellen. Diese hatten sowohl musikalische als auch nicht-musikalische Abstände (z. B. leicht oberhalb des Quintintervalls: Quinte+).

Zum Abhören verwendete ich die offenen Kopfhörer HD 660S von Sennheiser, deren THD weit unter der erwarteten Hörschwelle liegt. Die Abhörlautstärke betrug 70 dB(A), um möglichst keine Verzerrungen im Gehörorgan anzuregen. Die Teilnehmer wurden außerdem in verschiedene Gruppen eingeteilt, innerhalb derer ich die Reihenfolge der Testintervalle tauschte, da ich mit einem Lerneffekt rechnete. Im dritten Teil wurden die Probanden mithilfe interaktiver Hörbeispiele auf sogenannte Empfindungsgrößen geschult. Diese Größen definieren die Wahrnehmung akustischer Erscheinungen, die das Hörorgan zu verschulden hat. Beispielsweise kann das Gehör Frequenzen, die sehr nah (< 20 Hz) beieinander liegen, nicht als zwei Töne auflösen. Es nimmt stattdessen einen schwankenden Ton wahr, der mit auseinanderlaufenden Frequenzen immer rauer oder reibender wird. Mithilfe eines Fragebogens konnte ich die Empfindungen der beiden Testsignale erheben und anschließend bewerten.

Ergebnisse

Intermodulationsverzerrungen wurden abhängig vom Intervall bereits ab 0,1 % Verzerrung wahrgenommen. Die Verzerrungen der Quinte hörten die Teilnehmer eindeutiger und deutlich empfindlicher als die der Oktave. Dies konnte ich auf die spektrale Verteilung und die Interferenz einiger Verzerrungskomponenten zurückführen.

Anhand der Empfindungsgrößen war es mir möglich, Rückschlüsse auf den sensorischen Wohlklang zu ziehen. Dieser wurde maßgeblich durch die Empfindung von Tonhaltigkeit, also die Wahrnehmung vieler Einzeltöne, beeinflusst. So wurden kleinere Intervalle mit IMD durchaus als wohlklingender bewertet, während für größere Intervalle mit einem weniger tonalen Anteil unterhalb der Anregungsfrequenzen Gegenteiliges eintrat.

Was gibt es in diesem Bereich noch zu lernen?

Mit einer Hörschwelle von 0,1 % Verzerrung werden Intermodulationsverzerrungen etwa drei Mal früher als harmonische Verzerrungen wahrgenommen, zumindest in Zweitonsignalen mit wenig Maskierung. Spannend ist auch, dass IMD bei kleineren Frequenzabständen einen positiven Effekt auf die Klangwahrnehmung haben. Werden die Abstände größer, nimmt dieser ab, was wiederum für das Konzept von Mehrwege-Lautsprechern spricht. Deutlich interessanter wäre allerdings die Betrachtung von spektral komplexen Signalen und die Untersuchung, inwiefern verschiedene Maskierungseffekte die Hörschwelle beeinflussen. Die aussagekräftige Gestaltung von solchen Versuchen ist jedoch nicht einfach. Jedenfalls möchten Hersteller ohnehin eine gute Klangqualität bieten und versuchen dafür ihre Systeme im nichtlinearen Bereich zu optimieren. Vielleicht geht der Trend ja künftig dahin, häufiger psychoakustische Faktoren in diese Optimierung einzubeziehen.

Sicher ist, dass ein schlechtes Messergebnis nicht zwangsläufig ein unbrauchbares Resultat bedeutet. Wie immer in der Audiobranche sollten zuerst die Ohren gespitzt werden, ­bevor man an einer Optimierung der Messwerte bis zum Maximum verzweifelt.

Block 10

Gunda Trickl beendete 2023 ihr Studium im Bereich Sound and Music Production an der Hochschule Darmstadt. Ihrem Interesse an Forschung und Entwicklung geht sie als Akustik-Entwicklerin bei der Adam Hall Group nach. Außerdem arbeitet sie freiberuflich als Sound-Engineer bei Konzerten und Konferenzen im Raum Frankfurt.